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Ein weiteres Dogma auf dem Prüfstand – Anfangsdruck im Fermenter

In der Welt der Fermentation werden viele Überzeugungen von Generation zu Generation weitergegeben. Manche davon sind Gold wert, andere hingegen verdienen es, hinterfragt zu werden. Heute möchte ich ein Dogma in Frage stellen: den anfänglichen Druck im Fermenter und seine vermeintliche Rolle bei der Verhinderung von Alkoholbildung.

Bei dem verwendeten Verfahren handelt es sich um eine relativ junge Technik – sie existiert seit weniger als zehn Jahren. Gerade deshalb lohnt es sich, Erfahrungen zu sammeln, zu vergleichen und die eigenen Beobachtungen kritisch zu prüfen.


🔍 Das Dogma: Anfangsdruck verhindert Alkoholbildung?

Viele Fermentierer glauben, dass ein hoher Anfangsdruck im Fermenter (z. B. 3–4 bar) eine alkoholische Gärung unterdrückt. Die Idee dahinter: Hefen würden durch den Druck gehemmt und könnten keinen Alkohol bilden.

Doch stimmt das wirklich? Ich habe begonnen, dieses Dogma zu hinterfragen.


⚗️ Technischer Hintergrund: Wie entsteht Alkohol überhaupt?

Damit Alkohol gebildet wird, braucht es in der Regel:

  • Zucker als Nährstoff (z. B. aus Fruchtzucker, Haushaltszucker oder Malzzucker)
  • Hefen als Mikroorganismen (z. B. Saccharomyces cerevisiae oder wilde Hefen)
  • Sauerstoff zu Beginn (Hefen starten mit aerober Atmung und Zellvermehrung)
  • Anaerobe Bedingungen später (dann wechseln Hefen von Atmung auf Gärung und bilden Alkohol).

Diese Abläufe kennen wir aus der Herstellung von:
🍺 Bier – Hier wird Würze mit Hefen beimpft, Sauerstoff anfangs zugeführt, später wird CO₂ gebildet, und die Hefen bilden Alkohol.
🍷 Wein – Fruchtsäfte (Traubensaft) mit Zucker und Sauerstoff ermöglichen zuerst Hefevermehrung, dann Gärung.
🥂 Kombucha – Hier sind Hefen (und Bakterien) beteiligt. Auch hier kann Alkohol entstehen, vor allem wenn die Sauerstoffzufuhr stark eingeschränkt ist.

👉 Kurz gesagt: Die Sauerstoff-Phase (anfangs) dient Hefen zur Vermehrung, die anaerobe Phase (später) regt die Alkoholproduktion an.


💡 Meine Hypothese:

Nicht der Druck selbst, sondern der Sauerstoffgehalt im Fermenter ist entscheidend!
➡️ Sauerstoffmangel hemmt Hefen und begünstigt Milchsäurebakterien, wodurch weniger Alkohol entsteht.
➡️ Ein hoher Anfangsdruck mit Luft liefert jedoch Sauerstoff und könnte Hefen sogar noch anregen – ein unerwünschter Nebeneffekt.


🔧 Meine Beobachtungen:

Ich habe früher oft einen Anfangsdruck von 3–4 bar mit Luft aufgebaut – einfach aus der Annahme heraus, dass viel Druck gleichbedeutend mit Hefehinderung sei. Doch nach einigen Versuchen mit niedrigerem Anfangsdruck (1,5 bar Luft) habe ich festgestellt:

  • Der Druck stieg innerhalb von zwei Tagen auf 8,5 bar – das zeigt, dass die Mikroben aktiv sind und reichlich CO₂ produzieren.
  • Gleichzeitig konnte ich keine Alkoholbildung feststellen – was zeigt, dass der hohe Druck allein keine entscheidende Rolle spielt, sondern vielmehr der Sauerstoffgehalt.

Diese Erfahrung brachte mich auf die Idee, das Ganze systematischer zu untersuchen.


🧪 Die Idee: CO₂ statt Luft

Wenn der Anfangsdruck mit CO₂ (statt Luft) aufgebaut wird, verdrängt man den Sauerstoff vollständig und schafft sofort eine anaerobe Umgebung. Hefen verlieren dadurch ihre Sauerstoff-Phase (aerobe Atmung) und haben es schwerer, sich zu vermehren und Alkohol zu bilden.

Ich plane, künftig meinen Anfangsdruck gezielt mit CO₂ aufzubauen, um die Alkoholbildung zu reduzieren.


🔧 Technisches Detail: Wie oft reicht eine Gasflasche?

Für alle, die experimentieren wollen, hier ein grober Richtwert:

  • Mein Fermenter hat etwa 2 Liter Leerraum.
  • Eine handelsübliche 10-Liter-CO₂-Flasche (bei 150 bar) enthält ca. 1500 Liter Gas (10 × 150).
  • Um 2 Liter Fermenter auf 2 bar Druck zu bringen, braucht man ungefähr: 2 Liter×2 bar=4 Liter CO₂2
  • Damit könnte ich also theoretisch 1500 / 4 = ca. 375 Mal einen 2-Liter-Fermenter vorspülen oder Druck aufbauen.

In der Praxis wird die Zahl durch Leitungsverluste und Sicherheitsventile etwas kleiner sein, aber eine Flasche reicht sehr lange für viele Versuche.


Fazit:

  • Hoher Anfangsdruck allein (mit Luft) ist kein Garant gegen Alkoholbildung, weil Sauerstoff Hefen sogar anregen kann.
  • Viel wichtiger: Den Sauerstoff aus dem Fermenter entfernen – z. B. durch CO₂-Vorsättigung.
  • So lassen sich Hefen hemmen und Milchsäurebakterien fördern.
  • Ich freue mich darauf, diese Hypothese weiter zu testen und meine Erfahrungen zu teilen. Vielleicht ist es an der Zeit, ein weiteres Dogma zu hinterfragen und der Fermentation eine neue Richtung zu geben.
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