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Salz in der Fermentation – ein bisher unbeachteter Schlüssel?

Aktuell läuft bei mir ein neues Experiment mit Lactobacillus reuteri. Ziel ist es, ein mikrobiomfreundliches Getränk auf Basis von Druckfermentation herzustellen – mit diesem speziellen Bakterium als Hauptdarsteller. Über den Verlauf dieses Experiments werde ich noch gesondert berichten.

In der Vorbereitung bin ich über einen Aspekt gestolpert, den wir in unseren bisherigen Getränken kaum beachtet haben: Salz. Denn in der Praxis vieler Fermentations-Enthusiasten – mich selbst eingeschlossen – wurde Salz bisher oft vollständig weggelassen. Der Fokus lag auf Honig, Obst, Gemüse, Kräutern, Bakterienkulturen sowie auf der richtigen Druck- und Temperaturführung. Doch was, wenn wir durch den gezielten Einsatz von Salz ganz neue Wirkungsräume erschließen – nicht als Pflichtzutat, sondern als verfeinerndes Element?

Dieser Artikel soll keine Dogmen aufstellen. Im Gegenteil – er ist eine Einladung zum gemeinsamen Erkunden. Was passiert, wenn wir fermentierten Getränken einen Hauch von Salz hinzufügen? Welche Arten von Salz verändern das Milieu wie? Und gibt es vielleicht Mikroben, die geradezu auf eine bestimmte Mineralienzusammensetzung angewiesen sind?


Salz – mehr als nur ein Konservierungsmittel?

In der klassischen Gemüsefermentation ist Salz fast immer mit dabei: Es schützt vor Fäulnis, erhält die Textur und sorgt dafür, dass sich die „richtigen“ Mikroben durchsetzen. Doch bei Getränken – vor allem in der Welt der Druckfermentation – ist Salz bislang kaum ein Thema. Auch in unseren bisherigen Ansätzen haben wir komplett darauf verzichtet. Der Fokus lag auf Honig, Obst, Gemüse, Kräutern, Bakterienkulturen, Druck und Temperaturführung.

Doch bei der Vorbereitung meines aktuellen Reuteri-Experiments bin ich stutzig geworden: Vielleicht ist Salz mehr als nur ein altes Hausmittel – vielleicht wirkt es als gezielter mikrobieller Steuerimpuls?

Denn tatsächlich kann Salz im Fermentationsprozess ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen:

  • Es erzeugt osmotischen Stress, der viele unerwünschte Keime hemmt – während robuste Milchsäurebakterien vergleichsweise widerstandsfähig bleiben.
  • Es kann puffernd auf den pH-Wert wirken, was den Fermentationsverlauf stabilisiert.
  • Es bringt Mineralien wie Magnesium, Kalium und Chlorid ins Spiel – alles Elemente, die für bestimmte Mikroorganismen von Bedeutung sind.
  • Und nicht zuletzt beeinflusst es auch die Bioverfügbarkeit von Nährstoffen, also wie Mikroben und auch wir Menschen bestimmte Substanzen aufnehmen können.

Spannend wurde es, als ich Hinweise in der Reuteri-Forschung fand, die genau in diese Richtung deuten: Bei einigen Stämmen – etwa Lactobacillus reuteri DSM 17938 – wurde beobachtet, dass die Verfügbarkeit von Chlorid- und Magnesiumionen das Wachstum sowie die Produktion von Reuterin (einem antimikrobiellen Stoff, den Reuteri bilden kann) positiv beeinflussen kann. In Versuchsreihen mit fermentativen Substraten wie Glycerin zeigte sich, dass ein ausgewogenes ionisches Milieu – also eine feine Abstimmung von Salzbestandteilen – das bakterielle Verhalten stark mitprägt (beschrieben u. a. von Spinler et al., 2008 und Walter et al., 2011).

Das sind keine Erfahrungsberichte von der Küchenfront, sondern Ergebnisse aus der probiotischen Forschung – mit Fokus auf medizinische Anwendung. Aber gerade das macht es so spannend: Was wäre, wenn wir dieses Wissen in unsere Getränkefermentation übertragen?

Vielleicht wirkt eine kleine Prise Steinsalz nicht als Konservierer, sondern als Stabilitätsfaktor. Vielleicht kann Magnesiumchlorid in Mikro-Dosierung empfindlichen Kulturen wie Reuteri helfen, sich durchzusetzen. Vielleicht bringt uns gerade das Element weiter, das wir bisher komplett ignoriert haben.

Genau hier beginnt für mich die eigentliche Forschung – nicht im Labor, sondern am eigenen Fermenter.


Was wäre, wenn… wir Salz gezielt einsetzen?

Statt Salz pauschal als „Ja oder Nein“-Frage zu behandeln, könnten wir es differenzierter sehen – als Werkzeug zur Milieu-Gestaltung. Denn Salz muss kein Entweder-Oder sein. Es kommt auf die Dosis, die Art und das Timing an.

Gerade in fermentierten Getränken, die unter Druck entstehen, können schon kleinste Mengen eine große Wirkung entfalten. Besonders spannend finde ich Mini-Dosierungen im Bereich von 0,1 % bis maximal 0,3 % – also deutlich unter den typischen 2–3 % aus der Gemüsewelt.

Diese Angaben beziehen sich auf klassisches Steinsalz oder naturbelassenes Meersalz ohne Zusatzstoffe – also auf die Verwendung von Natriumchlorid als Basis. Magnesium- oder Kaliumsalze sollten separat und in deutlich geringerer Menge dosiert werden.

Hier einige Richtwerte für die Dosierung von 0,1–0,3 % Steinsalz in fermentierten Getränken. Ein gestrichener Teelöffel (TL) fasst etwa 5 g Steinsalz (mittlere Körnung).

Fermentergröße0,1 % Salz0,2 % Salz0,3 % SalzIn TL (0,2 % Bereich)
13 Liter13 g26 g39 gca. 5 TL
20 Liter20 g40 g60 gca. 8 TL
25 Liter25 g50 g75 gca. 10 TL
28 Liter28 g56 g84 gca. 11 TL

Für den Einstieg empfehle ich, mit 0,2 % Steinsalz zu beginnen – diese Menge ist mikrobiell meist gut verträglich und bringt erste spürbare Effekte, ohne den Geschmack zu dominieren.

In einem meiner Reuteri-Testläufe hatte ich das Gefühl, dass genau diese kleine Menge eine sanft stabilisierende Wirkung hatte: Der pH-Wert fiel gleichmäßiger ab, die Gasbildung verlief moderat, und das Getränk hatte nach der Reifung einen runderen Geschmack. Natürlich ist das kein Beweis – aber es war ein Impuls, der meine Neugier weiter entfacht hat.

Vielleicht ist Salz nicht nur Hemmstoff oder Schutzschild, sondern ein feiner Regler im mikrobiellen Orchester – und wenn wir lernen, ihn gezielt einzusetzen, öffnen sich ganz neue Räume der Gestaltung.

Was passiert, wenn zu viel Salz im Ferment ist?

So spannend der gezielte Einsatz von Salz auch ist – eine Überdosierung kann den gesamten Prozess blockieren. Vor allem in der Druckfermentation reagieren viele Mikroorganismen empfindlicher auf Salz als in offenen Systemen. Ein zu hoher Salzgehalt kann:

  • die Aktivität der Milchsäurebakterien hemmen oder ganz unterdrücken
  • das Wachstum von nützlichen Mikroben verzögern oder abwürgen
  • den Gärverlauf ins Stocken bringen, sodass keine ausreichende CO₂-Bildung entsteht
  • das Getränk geschmacklich unangenehm salzig oder unausgewogen wirken lassen
  • die Bildung gewünschter Stoffwechselprodukte ausbremsen

Deshalb gilt: Weniger ist mehr. Lieber im Bereich von 0,1–0,3 % beginnen und beobachten, als mit zu viel Salz das gesamte Milieu zu überfordern. Denn was Mikroben wirklich lieben, ist Balance.

Welche Salzart ist geeignet – und warum?

Nicht jedes Salz ist gleich – entscheidend sind die Begleitmineralien, die Reinheit und die Verarbeitung. Hier ein Überblick über gängige Varianten:

  • Steinsalz (z. B. Halit, Himalaya, unraffiniert)
    → enthält natürlich vorkommende Mineralien wie Magnesium, Kalium, Spurenelemente
    → trocken, lange lagerfähig, geschmacklich relativ neutral
    ideal für Fermentationen, besonders für empfindliche Mikroben wie Reuteri
  • Meersalz (naturbelassen, ohne Zusatzstoffe)
    → enthält Mineralien und Restfeuchte, variiert stark je nach Herkunft
    → bei unraffinierter Qualität aus sauberen Regionen potenziell geeignet
    → Achtung: industrielles Meersalz kann Spuren von Mikroplastik, Schwermetallen oder Umweltgiften enthalten – Herkunft prüfen!
    → für sensible Fermente nur in reiner, geprüfter Qualität einsetzen
  • Magnesiumchlorid (z. B. Nigari, in Lebensmittelqualität)
    → stark mineralisierend, wirkt gezielt auf bakterielle Stoffwechselprozesse
    → nur in sehr kleinen Mengen verwenden (z. B. 1–2 g auf 20 l)
    → gut geeignet für gezielte Mikrobenpflege, z. B. bei Reuteri oder Joghurt
  • Kaliumchlorid (z. B. als Bestandteil mineralischer Mischsalze)
    → kann das Milieu verschieben, wirkt anders als Natrium
    → weniger salzig im Geschmack, interessant bei salzempfindlichen Kulturen
    → eher für fortgeschrittene Versuche
  • Raffiniertes Speisesalz (z. B. mit Jod, Fluorid oder Rieselhilfen)
    → enthält oft synthetische Zusätze, die mikrobielle Prozesse stören können
    nicht geeignet für Fermentationen – insbesondere nicht bei sensiblen Kulturen

Salz in der Druckfermentation – ein Sonderfall

Die Druckfermentation bringt eine ganz eigene Dynamik mit sich. Anders als bei offenen Fermenten, wo Sauerstoff durch Salz, Gewicht und Abdeckung ferngehalten werden muss, entsteht in geschlossenen Gefäßen durch die Aktivität der Mikroben ein natürlicher Überdruck. Dieser verdrängt den Sauerstoff und schafft ein anaerobes Milieu – ideal für viele Milchsäurebakterien.

Das führt zu einer spannenden Frage: Brauchen wir in der Druckfermentation überhaupt noch Salz?

Die Antwort ist: nicht unbedingt – aber vielleicht profitieren wir trotzdem davon.

Denn auch wenn der Druck bereits eine Schutzfunktion übernimmt, kann eine kleine Menge Salz dennoch gezielt steuernd wirken:

  • Es kann den Start der Gärung stabilisieren, indem es die Ausbreitung unerwünschter Mikroben hemmt – vor allem in den ersten 24–48 Stunden, bevor der CO₂-Gehalt richtig ansteigt.
  • Es wirkt wie ein Puffer für das mikrobielle Gleichgewicht, besonders in Kombination mit Temperaturführung und Starterkulturen.
  • Es kann bei sensiblen Bakterienstämmen wie Lactobacillus reuteri dabei helfen, ein ausgewogenes ionisches Milieu zu schaffen, das ihr Wachstum unterstützt – insbesondere dann, wenn es um Chlorid- oder Magnesium-Ionen geht, wie sie in natürlichem Steinsalz oder Nigari vorkommen.

Gleichzeitig scheint der Druck auch die Reaktion der Mikroben auf Salz zu verändern. In meinen bisherigen Beobachtungen reagierten Bakterien unter Druck empfindlicher auf hohe Salzkonzentrationen als in offenen Fermenten. Während 1 % in einem offenen Ansatz manchmal noch akzeptabel war, führte dieselbe Konzentration im Drucksystem oft zu verlangsamter oder sogar blockierter Gärung.

Die Kombination von Druck und Salz ist also kein Selbstläufer – sie erfordert Fingerspitzengefühl. Ein Zuviel kann den Prozess hemmen, ein Zuwenig lässt möglicherweise unerwünschte Mikroben freien Lauf. Zwischen 0,1 % und 0,3 % liegt aus meiner Sicht ein interessanter Spielraum, der individuell getestet werden darf – je nach Kultur, Rohstoffen und Ziel.

Salz in der Druckfermentation – mehr als nur Schutz

Die Druckfermentation bringt von Natur aus eine gewisse Schutzfunktion mit: Durch die mikrobielle Aktivität entsteht CO₂, das den Sauerstoff verdrängt und ein anaerobes Milieu schafft. Viele Fermentationsbegeisterte nutzen genau diesen Effekt, um ohne Salz zu arbeiten – und das funktioniert in der Praxis oft erstaunlich gut.

Doch gerade bei sensiblen Bakterienstämmen wie Lactobacillus reuteri oder bei komplexeren Rezepturen lohnt sich ein zweiter Blick. Denn Salz übernimmt in der Druckfermentation nicht nur eine passive Rolle, sondern kann aktiv zur Feinsteuerung des inneren Milieus beitragen.

Ein wichtiger, oft übersehener Aspekt ist dabei die elektrolytische Wirkung von Salz. Sobald Salz in Flüssigkeit gelöst wird, zerfällt es in positiv und negativ geladene Ionen – sogenannte Elektrolyte wie Natrium⁺, Kalium⁺, Magnesium²⁺ und Chlorid⁻. Diese Ionen sind nicht nur für uns Menschen lebenswichtig, sondern auch für Mikroorganismen. Sie beeinflussen:

  • den osmotischen Druck innerhalb und außerhalb der Zellen
  • die Reaktionsfähigkeit von Enzymen
  • den pH-Verlauf und die Pufferkapazität
  • das Redoxpotenzial (also das Gleichgewicht von Elektronen in der Flüssigkeit)

Besonders unter Druck, wo Gasaustausch, Temperatur und mikrobielle Stoffwechselaktivität eng miteinander verwoben sind, scheint das ionische Gleichgewicht im Ferment eine regulierende Rolle zu spielen. In meinen eigenen Versuchen fiel auf: Fermente mit einer kleinen Gabe von Steinsalz oder etwas Magnesiumchlorid verliefen oft stabiler, ruhiger und geschmacklich harmonischer – auch wenn die Mengen weit unter dem klassischen Niveau lagen.

Gleichzeitig reagierten die Kulturen unter Druck empfindlicher auf zu hohe Salzkonzentrationen. Während 1 % in offenen Gefäßen manchmal noch funktionierte, war dieselbe Dosis im Druckferment oft zu viel – die Gärung stockte oder lief zu aggressiv. Hier zeigt sich: Druck verändert die Art, wie Mikroben auf Salz reagieren.

Zwischen 0,1 % und 0,3 % Steinsalz scheint ein interessanter Bereich zu liegen – genug, um das Milieu zu mineralisieren und zu stabilisieren, aber wenig genug, um die Mikrobiologie nicht zu überlasten.

Salz wird in diesem Kontext nicht mehr als „Schutzschild“ verstanden – sondern als fein abgestimmter Resonanzkörper, der mit Druck, Temperatur, Mikroben und Mineralien zusammenwirkt. Und vielleicht ist genau diese Wechselwirkung einer der Schlüssel zu einer neuen, mikrobiomfreundlichen Getränkekultur.

Salz kann hier regulierend wirken, da Hefen (z. B. Saccharomyces cerevisiae) empfindlicher auf osmotischen Stress reagieren als viele Milchsäurebakterien. Selbst kleine Salzgaben können das Hefewachstum deutlich bremsen, ohne den Bakterien zu schaden.


Eine Einladung zum Mitforschen

Für viele von uns war Salz bisher kein Thema in der Getränkefraktion der Fermentation – und das hatte gute Gründe. Doch vielleicht ist genau jetzt der Moment, eine neue Tür aufzustoßen. Nicht aus Dogma, sondern aus Neugier.

Was passiert, wenn wir unseren Fermenten eine kleine Prise Salz hinzufügen? Welche Mikroben fühlen sich gestärkt? Welche Prozesse verlaufen ruhiger, harmonischer? Und welche Kombination aus Druck, Temperatur, Mikroben, Kräutern und Mineralien führt zu einem Trank, der nicht nur stabil, sondern auch tief wirkend ist?

Ich selbst habe gerade erst angefangen, Salz in mein fermentatorisches Denken zu integrieren. Nicht als Pflichtzutat – sondern als Werkzeug, das bewusst und fein eingesetzt werden will.

Wenn du Lust hast, mitzumachen – fang klein an. Ein Fermenter mit Salz, einer ohne. Gleiche Zutaten, gleiche Bakterien, gleiche Bedingungen. Und dann: beobachten. riechen. schmecken. fühlen. dokumentieren. teilen.

Denn genau so entsteht Wissen: nicht im Labor, sondern in der Praxis, im Austausch, im lebendigen Prozess.

Ich freue mich auf eure Erfahrungen – und auf alles, was wir gemeinsam herausfinden.

👉 Teile deine Beobachtungen gern in unseren Telegram-Gruppen oder direkt in den Kommentaren unserer Kanäle:

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